Mal unter uns Sportsfreunden
Quergedanken im September 2012 von Andreas Pecht
Habt Ihr Olympia geguckt? Oder hieltet Ihr es wie Walter? Der zeigte den Spielen die kalte Schulter, schimpfte sie „geldgeile, nationalchauvenistische Leistungszuchtschau im Gewand edler Olympikidee“. So ganz falsch liegt er nicht, übertreibt aber wohl etwas. Jedenfalls traktierte der Freund mich tagelang mit ätzenden Spitzen, denn ich habe Olympia geguckt. Sogar mit Vergnügen – obwohl reichlich Vorschusslorbeer für deutschländische Favoriten vorzeitig vertrocknete: abgesoffen die Kampfschwimmer, abgestochen die Schwertrecken, schieläugig die Schützeninfanterie, vergaloppiert die Kavallerie.
In Scharen ging anfangs „unseren“ gesetzten Sieg-Aspiranten die Puste aus. Das Geheul daheim war arg. Trost spendeten dann Randfiguren wie Hallenradler, Paddelboot-Skipper, volleyballernde Strandboys oder Schäferstock-Künstler (Hockey). Ich brauchte keinen Trost. Mir nämlich gehen Ländermedaillenspiegel, Hymnengeblase, Fahnengewedel sowieso am Allerwertesten vorbei. Gleich tönt die Frage: Was könnte einen an Olympia denn anderes interessieren als der Wettstreit der Nationen? Ach Leute, was wohl: der Sport selbst nebst Fertigkeiten wie Befindlichkeiten der Sportler – egal unter welcher Flagge.
„Sportlerinnen!“, quakt Walter dazwischen. „Es sind die knackigen Ladies in ihren knappen Dresses, die dich vor die Glotze locken.“ Kreuzgewitter, der Kerl kann nerven! Natürlich sind mir lächelnd winkende, hübsche Läuferinnen sympathischer als killergesichtige Läufer mit Kriegergehabe. Aber der Sexappeal von Athletinnen ist so eine Sache. Schmiegsamkeiten durch stählerne Muskeln ersetzt: Da könnt' man(n) sich beim Schmusen blaue Flecken stoßen. Mein Geschmack sind die systematisch optimierten, extrem spezialisierten Leistungsmaschinen nicht, weder weibliche noch männliche, weder ästhetisch noch erotisch.
Gleichwohl: Ich mag spleenige Typen, die sich völlig nutzlosen Passionen hingeben. Es sollen ja unter den Olympioniken auch noch einige nur aus Lust an der Freud schwitzen, statt des Mammons wegen. Im Kreis rennen oder hin- und herschwimmen, um möglichst schnell wieder am Ausgangspunkt anzukommen. Speere werfen, die nichts erlegen sollen. Über Hindernisse springen, die man sich absichtlich in den Weg stellt. Lasten stemmen, nur um sie wieder fallen zu lassen. Das ist doch beknackt – und deshalb in Zeiten des Nützlichkeitswahns wunderbar.
Es reizt mich an Olympia zudem der persönliche Nostalgiefaktor. Weit- und Hochsprung, Basket- und Volleyball waren mal meine ersten Jugendsünden. Dem Teufelspakt mit Mädels, Kneipe, Rock`n`Roll und Weltverbesserung ging tatsächlich eine Lebensphase sportiver Mühen und Träume voraus. Die Mühen waren vergeblich, die Träume schnell verflogen. Wohl auch, weil man mit 1,81 Körperlänge im Wettstreit der Lulatsche halt ein chancenloser Winzling bleibt. Dennoch fiebert Jahrzehnte später der aufgedunsene Leib vor dem Fernseher mit bei Anlauf, Absprung, Zenitimpuls, Landephase.
Ach, schön war's damals – auf den Plätzen (meist hinteren) zu landen, das aber mit Würde. Mein Daumendrücken galt jetzt jenem Russen in London, der den Hochsprung gewann. Der langhaarige Typ erinnerte mich an mich, auch wenn seine Goldhöhe einen guten halben Meter über meiner einstigen Höchstmarke bei irgendeinem badischen Jugendwettbewerb lag. Fast juckt es, mal wieder die Trainingstasche zu packen. Walter zeigt mir den Vogel. Er hat ja recht – trotzdem…