Kleider machen keine Leute
Quergedanken im Oktober 2015 von Andreas Pecht
Zugegeben, Mode ist nicht meine stärkste Seite. Von Frauenmode verstehe ich nur ein klein wenig, von Männermode gar nichts. Das mag manche/r für einen seltsamen Widerspruch halten, ist aber leicht zu erklären. Was die Damen angeht, kann ich zumindest erkennen, welche mir in welchem Outfit warum gefällt. Bei den Herren gelingt mir nicht mal das, weil ein vergleichbares Gefallen sich nie einstellen will – egal mit welchem Outfit sie sich mühen. Hinsichtlich der eigenen Mannsperson bleibt deshalb auch jeder Blick in den Spiegel vergeblich.
Neulich war ein ganzes Heft des „Zeit-Magazins” der „magischen Beziehung” zwischen Frau und Kleiderschrank gewidmet. Die Redaktion wollte zeigen, „wie das, was wir tragen, uns verwandelt.” Den Beweis für diese Variation des alten Spruches „Kleider machen Leute” sollte die Schauspielerin Marine Vacth erbringen. In wechselndem Edelfummel stürzte sie sich in unterschiedliche Posen. Heraus kam eine wunderbare Fotostrecke – die allerdings das genaue Gegenteil beweist. Denn Frau Vacth machte ihre schauspielerische Sache so gut, dass Intensität, Tiefe, Hintergründigkeit, Emotionalität, erzählerische Kraft ihrer Gesichts- und Körperausdrücke die Modekreationen von Gucci, Dior, Versace und Co. zur belanglosen Staffage degradierten.
Natürlich war das Heft ansonsten prallvoll mit Damenmode-Anzeigen. Da konnte man dann im Vergleich mit den Vacth-Fotos reihenweise sehen, dass aufgesetzt eisig-böses Gucken und chicke Klamotten aus Models weder inspirierende Vamps noch beeindruckende Persönlichkeiten machen. Schlussfolgerung: Die Bedeutung der Outfits für die Außenwirkung ihrer Träger/innen ist wesentlich geringer als gemeinhin angenommen, tendiert bei interessanten und seelenvollen Menschen gegen Null.
Diesen Befund bestätigte das „Zeit-Magazin” der Folgewoche mit Männermode im Zentrum. Ach du heiliger Bimbam, langweiliger hätte nur noch eine Ausgabe über die angebliche Vielfalt und den vermeintlichen Chic von Businessanzügen samt Krawatten sein können. Schauspieler Ellar Coltrane bleibt eine Kleiderpuppe, weil er mit aller Gewalt cool, männlich, zugleich tiefsinnig und sensibel rüberkommen will – doch offenbar nichts davon wirklich in sich hat. Gleiches in sämtlichen Männermode-Anzeigen des übrigen Heftes. Sorry, aber selbst wenn ich 35 Jahre jünger wäre, würde ich nicht aussehen wollen wie diese „stylischen” Werbezombies.
Und plötzlich giftet mich Freund Walter an: „Hast du in Zeiten der Flüchtlingskrise nichts besseres zu tun, als über äußerlichen Firlefanz zu schwadronieren?!” Recht hat er schon, aber eigentlich habe ich auf allen Kanälen bereits alles gesagt, was ich im Grundsatz dazu zu sagen habe. Nun gut, wahrscheinlich kann man es nicht oft genug wiederholen. Also: Wenn Kapital und Waren, imperiale Politik und Waffenlieferanten, Touristen und Medien sich nach Gusto im Eigeninteresse weltweit tummeln, wer wollte/könnte die Elenden daran hindern, sich auf den Weg zu machen in die reichere und sichere Hälfte des globalen Dorfes? Das wird erst aufhören, wenn der reiche und mächtige Teil der Menschheit aufhört, den armen Teil als Spielball eigener Machtpolitik zu missbrauchen und ökonomisch als Zitrone zu betrachten, die nach Belieben ausgequetscht werden kann. Es gilt: Hilfe ist richtig; Abschottung ist inhuman und obendrein völlig nutzlos, weil Völkerwanderungen nun mal nicht aufhaltbar sind.
Der Autor im Internet: www.pecht.info