Wählen gehen? Diesmal unbedingt!
Quergedanken im März 2016 von Andreas Pecht
Es hat mal wieder gerummst zwischen Walter und mir. Banaler Anlass: rheinland-pfälzische Landespolitik. Konkret: Landtagswahl am 13. März. Wieder der Disput: wählen oder nicht wählen? Dass Walter auch diesmal an seiner Position – „ich mach‘ diesen Zirkus nicht mit” – festhalten wollte, brachte mich in Rage. Am Ende konnte ich ihn zwar breitschlagen, heuer mal eine Ausnahme zu machen. Aber leicht war das nicht. Denn der Kerl blieb nie aus Faulheit oder Desinteresse der Urne fern. Vielmehr gehört er zu jenem Teil der 30 plus X Prozent Nichtwähler, die das Wählen aufgegeben haben, gerade weil sie Politik besonders interessiert. Walter weiß über die kleinen wie großen polit-ökonomischen Zusammenhänge sicher besser Bescheid als mancher Parteifunktionär.
Ich erinnere noch des Freundes letzten Urnengang. Das war bei der Bundestagswahl 1998, aus der die Schröder/Fischer-Regierung hervorgegangen war. Er hatte rot-grün gewählt, war darüber aber bald bis zum schieren Selbsthass unglücklich. Seit damals knirscht er mit den Zähnen, sobald die Rede aufs Wählen kommt: „Ich habe mit meiner Stimme das genaue Gegenteil dessen legitimiert, was ich politisch wollte. Sozis und Grüne haben die Bundeswehr von einer Truppe zur Landesverteidigung in eine Interventionsarmee verwandelt, und sie haben der Auslieferung des Staates an die neoliberale Wirtschaftshegemonie freiwillig die Tore sperrangelweit geöffnet.” Von da an schaute Walter Wahlbenachrichtigungen nicht mal mehr mit dem nackten Hintern an.
Verdenken kann man es ihm schwerlich. Mir selbst geht es jedesmal so, dass ich noch in der Kabine nicht weiß, wohin mit dem Kreuzchen. Erst wenn im Wahllokal meines Dorfes, der „Gaststätte Kühn”, der Wahlvorstand ruft „hey Andreas, bist du eingeschlafen? Am Tresen wird dein Bier schal”, zwinge ich die widerstrebende Hand, ihr Werk zu vollbringen – und irgendeinem vermeintlich kleineren Übel den Zuschlag zu geben. Denn ja, wählen ist Bürgerpflicht. Doch am Abend beim TV-Elefantengebabbel beschleicht mich gleich der ungute Verdacht, falsch entschieden zu haben. Und das jedesmal, egal wo ich mein Kreuz mache. Manchmal beneide ich Mitbürger, die sich einem Partei-Milieu so selbstverständlich zugehörig fühlen wie der Religion, die man ihnen ungefragt in die Wiege legte. Mir geht beides ab. Das macht die Wahlbürgerpflicht zu einer recht undankbaren.
Sie fragen, wie ich Walter rumgekriegt habe, am Wahlsonntag in seinem Koblenzer Wahllokal anzutanzen? Sie werden lachen: Mit dem Verweis auf abendländische Moral, gute Sitten, Anständigkeit und des Freundes eigene Wurzeln im Humanismus. Dies alles stellt zur Disposition – haute ich ihm ins störrische Hirn –, wer den mal süßlich, mal schrill flötenden Rattenfängern am rechtsextremen bis neofaschistischen Rand des Parteienspektrums auf den Leim geht. Die werden gar nichts besser machen als die Etablierten, uns zudem aber ein riesiges Schandpaket deutschtümelnder Illusionen aufbürden.
Deshalb ist der Wahlgang diesmal tatsächlich Bürger- und Demokratenpflicht. Je mehr Stimmen sich links von rechtsaußen ansammlen, umso besser. Das ist kein Votum für irgendeine Parteipolitik, sondern ein Votum gegen einen fatalen Rückwärtsruck. Walter hat das eingeleuchtet. Ob wir nun am 13. März schwarz, gelb, grün, rosa oder rot wählen, ist unsere Sache. Wenn‘s nur nicht die blau-braunen Feinde des Humanismus sind.
Der Autor im Internet: www.pecht.info